Liebe Freundinnen und Freunde!

 

Ich habe gerade die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs gelesen, die mich nicht nur zu lebenslanger Haft verurteilt, sondern auch zu endloser Verfolgung. Es handelt sich um eine Entscheidung, die auf gefälschten Argumenten und gefälschten Beweisen beruht.


Dieser Prozess läuft seit 25 Jahren. Die Hälfte meines Lebens. Und ich weiß, dass er einer der Indikatoren für das organisierte Böse ist, das in der Türkei schon seit langem verwurzelt ist. Er spiegelt sowohl die Kontinuität des autoritären Regimes in der Türkei als auch die Konfigurationen der repressiven Dispositive. Dieses ungerechte Urteil, das auf gefälschten Dokumenten beruht, ist nur ein Teil der dunklen Mechanismen die vor den Wahlen aufgestellt werden.

 

Einige Tage vor den Morden an Kurden in Paris habe ich Folgendes auf Mediapart geschrieben: "Das Jahr 2023 ist vorhersehbar. Anlässlich von Wahlterminen, wird es zu neuen Explosionen oder Anschlägen kommen, die von den "Unsichtbaren" organisiert werden. Die Untersuchungen werden nie abgeschlossen werden, ebenso wie die Verschwörung, deren Opfer ich bin". Darin habe ich erklärt, wie in der Türkei die zerstrittene Regierung ihre Gewalt durch eine Strategie des Chaos und der Spannung ausübt, die sich mit dem düsteren politischen Repertoire des Landes nährt. Ich bin ein kleiner Punkt in dem großen Gemälde des Widerstands, der mit einem hohen Preis bezahlt wird.

 

Bis heute habe ich Widerstand geleistet, um mich nicht der Herrschaft zu unterwerfen, aber auch, angesichts der Repression, um weiterhin kreativ zu sein, an Forschungsfragen zu arbeiten, zu reflektieren, tiefgründig, strukturiert und auch zu handeln und zu leben wie eine zinzische Ameise.

 

Ich werde nicht lockerlassen, das verspreche ich Euch,

Ich umarme Euch,

 

Pinar

 

pinar senek 

 

Internationaler Haftbefehl und neuer Prozess für Pinar Selek

Medienmitteilung 16. Januar 2023

 

 

Am 21. Juni 2022 hat die öffentliche türkische Presseagentur darüber informiert, dass der Oberste Gerichtshof der Türkei den vierten Freispruch von Pinar Selek, der am 19. Dezember 2014 durch den Istanbuler Strafgerichtshof ausgesprochen worden war, aufgehoben hat. Pinar Selek hat im Laufe der politischen und rechtlichen Verfolgung, der sie bereits seit 25 Jahren ausgesetzt ist, schon drei Strafverfahren durchlaufen, die alle ihre Unschuld bestätigten. Nachdem sie für ihre soziologischen Studien zu Kurd:innen inhaftiert und gefoltert worden war, hat der türkische Staat entschieden, sie zur «Terroristin» zu machen, indem er die Elemente frei fabriziert hat, die entgegen jeglicher Beweise belegen sollen, dass es 1998 auf dem Gewürzmarkt in Istanbul zu einem Attentat gekommen sei, obwohl alles bewiesen hat, dass die Explosion ein Unfall war.


Sechs Monate, nachdem die Aufhebung des Freispruchs in den Medien verkündet worden war, wurden die Anwält:innen von Pinar Selek am 6. Januar 2023 endlich offiziell vom Istanbuler Geschworenengericht darüber informiert. Diese sechs Monate unerträglichen Wartens und neuerlicher psychologischer Folter enden für Pinar Selek in einer Justizparodie. Es wurde ein internationaler Haftbefehl gegen sie ausgesprochen und ihre sofortige Inhaftierung gefordert. Dieser Entscheid wurde vom Istanbuler Strafgerichtshof getroffen, bevor dessen Richter:innen sich überhaupt in einem ersten Prozess geäussert haben. Dieser ist auf den 31. März 2023 angesetzt. Dieses rechtlich gesehen groteske Vorgehen, das für Pinar Selek äusserst schwerwiegende Folgen hat, wurde in einem Kontext beschlossen, in dem der türkische Staat immer mehr Freiheiten beschneidet und immer gewaltvoller gegen alle Minderheiten und politischen Gegner:innen, insbesondere aber gegen die Kurd:innen in der Türkei und in anderen Ländern, vorgeht. Die bevorstehenden Wahlen in der Türkei begünstigen politische Ablenkungsmanöver und Manipulationen.


Les collectifs de solidarité avec Pinar Selek refusent que l’écrivaine et sociologue soit une fois de plus l’otage d’une politique inique qui se traduit par une véritable farce judiciaire. Ils refusent également qu’elle soit la victime collatérale de la politique de complaisance des pays européens à l’égard du régime autoritaire et liberticide qui sévit en Turquie. Ils demandent à tout.es les parlementaires et responsables politiques qui ont témoigné ces derniers mois leur soutien à Pinar Selek, d’agir énergiquement auprès du gouvernement afin qu’il lui apporte concrètement toute la sécurité et la protection que l’État français doit à l’une de ses compatriotes. La nationalité française de Pinar Selek ne suffit pas à la protéger. Forts du soutien de très nombreuses personnalités de la recherche et du monde intellectuel et de la culture, les collectifs de solidarité avec Pinar Selek renouvellent au Président de la République leur demande de soutien ferme et inconditionnel ainsi qu’une protestation officielle auprès du
pouvoir turc.


Die Solidaritätskomitees für Pinar Selek sprechen sich kategorisch dagegen aus, dass die Autorin und Soziologin ein weiteres Mal zur Geisel einer ungerechten Politik wird, die zu einer richtiggehenden Justizfarce führt. Sie lehnen auch ab, dass sie zum Kollateralopfer der nachsichtigen Politik wird, mit der die europäischen Länder dem autoritären und freiheitsfeindlichen Regime in der Türkei begegnen. Die Komitees verlangen von allen französischen Parlamentarier:innen und politischen Entscheidungsträger:innen, die in den letzten Monaten ihre Unterstützung für Pinar Selek ausgesprochen haben, dass sie sich bei der Regierung entschieden dafür einsetzen, dass sie Pinar Selek alle Sicherheit und allen Schutz bietet, die der französische Staat einer seiner Staatsbürgerinnen schuldet. Die französische Staatsbürgerschaft von Pinar Selek reicht nicht aus, um sie zu schützen. Die Solidaritätskomitees mit Pinar Selek, unterstützt von zahlreichen Persönlichkeiten aus der Forschung, der Kultur und aus intellektuellen Kreisen, wiederholen ihre entschlossene und bedingungslose Forderung an den Präsidenten der französischen Republik, Pinar Selek zu unterstützen und eine offizielle Beschwerde beim türkischen Staat einzureichen. Des Weiteren rufen die Komitees alle Freund:innen von Pinar Selek, alle Künster:innen, Forscher:innen und Aktivist:innen dazu auf, ihre Anstrengungen zu verdoppeln, ihre Unterstützung auf alle Opfer des türkischen Staats auszuweiten und am 31. März so viele Delegationen wie möglich nach Istanbul zu schicken, um Wahrheit und Gerechtigkeit für Pinar Selek zu fordern!


Die Europäische Koordination der Solidaritätskomitees für Pinar Selek